Änderungen am Umfang des Projekts, den zu liefernden Produkten oder auch den Plänen sind in Projekten an der Tagesordnung. Abgesehen davon, dass vielen Kunden ihre eigene Erwartungshaltung erst während des Projektverlaufs deutlich wird, führen auch Faktoren wie z.B. Markt- und Branchenveränderungen dazu, dass sich die Anforderungen an das Projektendprodukt oder die Teilprodukte ändern. Änderungen ermöglichen daher auch, dass während der Projektlaufzeit flexibel auf bestimmte interne und externe Faktoren reagiert werden kann, damit das Projektendprodukt letztlich „fit for purpose“ bleibt – typischerweise kommen daher die meisten Änderungsanträge vom Kunden.
Auch wenn Änderungen, insbesondere für den Projektmanager, Mehraufwand bedeuten, zählt die Abwicklung zum Tagesgeschäft des Projekts. Entscheidend ist, dass Änderungen entsprechend geprüft und ggf. gesteuert umgesetzt werden.
Das Thema Änderungen zeigt, wie Änderungen gesteuert und transparent durchgeführt werden, welche Verantwortungen die einzelnen Beteiligten haben und welche Aufgabe das Konfigurationsmanagement für das Projekt – auch bei der Durchführung von Änderungen – erfüllen muss.
Offener Punkt und Änderungssteuerung
Durch das Verfahren der Änderungssteuerung wird in PRINCE2 nicht nur jeder Änderungsantrag bearbeitet, sondern alle offenen Punkte. Jedes unerwartet eingetretene Ereignis ist ein offener Punkt.
Es gibt drei Arten von offenen Punkten:
- Änderungsantrag: Ein Antrag auf Änderung einer Baseline.
- Spezifikationsabweichung: Ein Produkt, das nicht der vereinbarten Qualität entspricht oder entsprechen wird.
- Problem/Anliegen: Alle übrigen Ereignisse, die die Aufmerksamkeit des Projektmanagements benötigen.
Jedes Projekt bestimmt die genaue Ausgestaltung des Verfahrens auf Basis des Projektkontexts.
Erfassen
Folgende Kernaktivitäten werden durchgeführt:
- Bestimmen des offenen Punkt Typs (Änderungsantrag, Spezifikationsabweichung oder Problem/Anliegen).
- Festlegung des Schweregrads und der Priorität des offenen Punkts.
- Bestimmen, ob der offene Punkt formell oder informell behandelt werden soll. Informelle offene Punkte sollten vom Projektmanager im Projekttagebuch dokumentiert werden. Entscheidet sich der Projektmanager einen offenen Punkt formell zu bearbeiten, wird er diesen im Register offener Punkte festhalten und einen Offener-Punkt-Bericht erstellen. Anhand eines Offener-Punkt-Berichts wird die komplette Steuerung dokumentiert:
- Ergebnis der Auswirkungsanalyse und wirtschaftlichen Prüfung
- Empfehlung an den Lenkungs- oder Änderungsausschuss
- Erfolgte Genehmigung (Lenkungs- oder Änderungsausschuss)
- Status der Implementierung
Mit dem Schließen des Offener-Punkt-Berichts wird auch der Eintrag im Register offener Punkte geschlossen. Das Register offener Punkte ist eine fortlaufende Aufzeichnung von Informationen über formelle offene Punkte.
Untersuchen
Folgende Kernaktivitäten gehören zur Untersuchung eines offenen Punkts:
- Prüfen der Auswirkung des offenen Punktes auf
- die Projektziele für Zeit, Kosten, Qualität und Umfang.
- den Business Case und damit einhergehend den erwarteten Nutzen.
- die Risikobelastung des Projekts.
Die Ergebnisse der Untersuchungen sollten mit den Vorstellungen und Einschätzungen des Lenkungsausschusses in Bezug auf Mehrwert für die Organisation, Spezifikation und Einhaltung der Anforderung sowie Machbarkeit abgestimmt werden. Die Untersuchungsergebnisse helfen, den Schweregrad und die Priorität des offenen Punktes besser einzuschätzen.
Vorschlagen
Diese Aktivität hat zum Ziel, unterschiedliche Optionen für die Behandlung des offenen Punktes aufzuzeigen.
- Es werden alternative Optionen, wie mit dem offenen Punkt umgegangen werden kann, geprüft.
- Jede Option wird hinsichtlich Zeit, Kosten, Qualität, Umfang, Nutzen und Risiken bewertet.
- Es werden Empfehlungen für jede Option gegeben.
Entscheiden
Der Lenkungsausschuss entscheidet über die vorgeschlagenen Optionen. Sollte das betreffende Produkt noch nicht eingefroren sein (Baseline) und die Änderungen kein Überschreiten der Toleranzen verursachen, kann der Projektmanager eigenständig entscheiden. In allen anderen Fällen entscheidet der Lenkungsausschuss oder, wenn eingesetzt, der Änderungsausschuss – dann allerdings nur innerhalb seines zugewiesenen Kompetenzrahmens. Die vorgeschlagene Option wird wie eine Weisungsanfrage in Form eines Offener-Punkt-Berichts zum Lenkungsausschuss eskaliert. Sollte allerdings die Implementierung einer Option zu einer Ausnahmesituation führen, wird ein Ausnahmebericht eskaliert.
Implementieren
Der Projektmanager wird die zur Ausführung der Implementierung notwendigen Schritte einleiten.
- Einleiten einer Korrekturmaßnahme in Form eines aktualisierten oder neuen Arbeitspakets oder der Erstellung eines Ausnahmeplans (sofern vom Lenkungsausschuss angefordert) und dem Lenkungsausschuss zur Genehmigung vorlegen.
Die Entscheidung des Lenkungsausschusses wird im Offener-Punkt-Bericht dokumentiert, und alle Stakeholder des offenen Punktes werden informiert.
Ist der offene Punkt abgeschlossen, werden das Register offener Punkte und der Offener-Punkt-Bericht mit dem entsprechenden Status aktualisiert.
Änderungsausschuss
Der Lenkungsausschuss kann zu seiner Entlastung einen Änderungsausschuss benennen, der Teile der Verantwortung zur Änderungsprüfung und -genehmigung übertragen bekommt. Diese Rolle, welche besser als Autorität verstanden werden sollte, kann von einer oder mehreren Personen übernommen werden.
Der Änderungsausschuss kann innerhalb eines definierten Rahmens über Änderungen entscheiden. Meist sind das Zeit und/oder Kostengrenzen innerhalb deren entschieden werden darf. Es könnte auch ein entsprechendes Änderungsbudget für eine Phase vom Lenkungsausschuss als Limit festgelegt werden.
Das Änderungsbudget ist ausschließlich für die Umsetzung von Änderungen vorgesehen und wird im jeweiligen Plan dokumentiert. Durch einen Änderungsausschuss und ein Änderungsbudget entstehen weniger Eskalationen aufgrund von Änderungsanträgen. Dies entlastet den Lenkungsausschuss.
Jeder Änderungsantrag muss sorgfältig geprüft werden, um die Auswirkung auf den Nutzen beurteilen zu können. Grundsätzlich sollte eine Änderung nur vorgenommen werden, wenn dies eine positive Auswirkung auf den Business Case hat. Das ist der Fall, wenn Vorteile der Änderung die Mehraufwände der Implementierung auffangen und diese überwiegen.
Konfigurationsmanagement
Konfigurationsmanagement beschreibt alle Aktivitäten, die notwendig sind, um die Konfiguration der Produkte, Produktgruppen und Produktkomponenten zu erstellen, zu pflegen und effektiv bei Änderungen zu steuern. Es handelt sich im klassischen Sinne um die Verwaltung der Produkte und deren genaue Konfiguration (Ausprägung).
Wichtige Begriffsdefinitionen des Konfigurationsmanagements:
- Produkt: Materieller oder immaterieller Input oder Output. Es gibt zwei Produktarten in PRINCE2: Managementprodukte und Spezialistenprodukte.
- Release: Eine Gruppe zusammengehörender Produkte (Spezialistenprodukte), die als Einheit gemanagt, getestet und implementiert werden.
- Variante: Abweichende Ausführung eines Produkts (z.B. in anderer Sprache).
- Version: Eine bestimmte Baseline eines Produkts zu einem gewissen Zeitpunkt.
- Baseline: Abgenommene und eingefrorene Momentaufnahme eines Produkts.
Konfigurationsmanagementverfahren
Die sorgfältige Identifizierung und der Schutz vor unzulässigen Änderungen der Projektprodukte sind sehr wichtig. Die Produkte sind die Werte des Projekts und der Organisation.
Das Verfahren beschreibt die Aktivitäten, die zur Verwaltung der Produkte des Projekts notwendig sind, z.B. das Nachhalten der Status der Produkte (Produktstatusauskunft & Konfigurationsdatensatz) und die Steuerung der Produktänderungen. Managementprodukte und Spezialistenprodukte haben hier eine direkte Abhängigkeit.
Konfigurationsmanagement besteht aus den folgenden Basisaktivitäten:
- Planen: Festlegen der Erfassungstiefe der Produkte (Configuration Item-Level) und der notwendigen Steuerungsmittel.
- Identifizieren: Spezifizierung und Identifizierung aller Produkt des Projekts und deren Versionierung, Benennung, Codierung.
- Steuern: Überwachen und ‚baselinen‘ von Produkten sowie die Freigabe der Produkte bei Zustimmung der zuständigen Stellen (Lenkungsausschuss und/oder Änderungsausschuss). Darüber hinaus umfasst die Steuerung auch die Speicherung und Wiederauffindung aller relevanten Informationen (Konfigurationsdatensätze) und Produkte.
- Status protokollieren: Berichten aller relevanten aktuellen und historischen Daten über Produkte in Form einer Produktstatusauskunft. Das kann für ein Produkt, für die Produkte eines Arbeitspakets, für die Produkte einer Phase oder des ganzen Projekt bei der Projektunterstützung angefordert werden.
- Verifizieren und Audit: Wiederholtes Überprüfen und Kontrollieren der dokumentierten Konfigurationsdatensätze mit dem real existierenden Produktstatus. Die Überprüfung wird vom Projektmanager angeordnet und verantwortet und von der Projektunterstützung durchgeführt.
Mit einem funktionierenden Konfigurationsmanagement ist der Status der Produkte richtig dokumentiert und jederzeit abrufbar. Produkte sind wieder auffindbar und es sind grundsätzlich die richtigen Versionen im Umlauf, was gewährleistet, dass Änderungen an der richtigen Version durchgeführt werden. Da Sicherheitskopien regelmäßig erstellt werden, gehen keine Produkte verloren und es besteht die Möglichkeit ggf. auf die alte Baseline zurückzugehen.
Auch die Managementprodukte unterliegen dem Konfigurationsmanagement und sollten gesteuert geändert werden. Diesbezüglich werden die Managementprodukte in drei Kategorien unterteilt: Baseline, Aufzeichnungen, Berichte.
Baseline-Managementprodukte definieren bestimmte Aspekte des Projekts als Ausgangsbasis und unterliegen nach der Freigabe der Änderungssteuerung. Als Aufzeichnung werden dynamische Managementprodukte bezeichnet, die Informationen über den Projektfortschritt enthalten. Berichte sind Managementprodukte, die eine Momentaufnahme des Status bestimmter Aspekte des Projekts liefern.